Zur Kunst von Willi Siber

von Dr. Stefanie Dathe (Museum Ulm)

Willi Siber (*1949) gehört mit seinen unverwechselbaren und stets überraschenden Bild- und Formfindungen seit vielen Jahren zu den wichtigsten süddeutschen Gegenwartskünstlern.

Die Kunst des Bildhauers, Malers und Zeichners lässt sich keiner Stilrichtung zuordnen und hinterfragt die ästhetische Wirkung der von ihm verwendeten Materialien immer wieder aufs Neue. Ob aus Holz, Harz oder Stahl – Willi Sibers Bildtafeln, Wand-, Boden- und Raumobjekte ziehen den Betrachter unweigerlich in ihren Bann. Sei es in seinen filigranen Gitterobjekten oder bewegten Stahlskulpturen, sei es in seinen raumgreifenden Wandobjekten oder reliefierten Tafelbildern, immer steht das Spiel mit dem Eindruck von Schwere und Leichtigkeit, Dichte und Auflösung, Vitalität, Verletzlichkeit und Entkörperlichung im Vordergrund einer vielschichtigen Oberflächenbehandlung. Willi Sibers Kunst wirkt fern und nah, haptisch und immateriell, widerborstig und zart zugleich. Sie lebt von Gegensätzen, vom Spiel mit sinnlicher Wahrnehmung und dem Erleben von Material, Farbe und Form, Oberfläche, Tiefe und Raum.

So groß die Bandbreite seiner künstlerischen Ausdrucksformen ist, so groß ist auch die Variationskraft seiner Bilder, Skulpturen und Objekte. Diese Vielgestaltigkeit resultiert aus der Erforschung materialimmanenter Eigenschaften und der Erörterung fundamentaler Themen, die Willi Siber auf unterschiedlichsten Ebenen in seiner Kunst verfolgt: die Fragen nach dem Werkstoff, seiner Bearbeitung und Verfremdung, dem verwendeten Farben- und Formenkanon und die Fragen nach Raum, Licht und Erscheinung. In der seriellen Erarbeitung sucht er nach immer neuen Möglichkeiten, die Grundlagen sinnlicher Wahrnehmung auszuloten, das optische Wechselspiel von Zwei- und Dreidimensionalität, von Materialisierung und Entkörperlichung künstlerisch auszuschöpfen und weiterzuentwickeln.

Egal in welchem Material Willi Siber gerade arbeitet, sein künstlerischer Prozess ist stets mit konsequenter Forschungsarbeit verbunden. Er ist ein Tüftler und verwendet oft Monate darauf, bestimmte Wirkungen zu erreichen und den Werkstoff zu beherrschen. Jede Arbeit begründet sich in einem Prozess vieler aufeinanderfolgender und genauestens aufeinander abgestimmter Arbeitsschritte, die sich letztlich in einem perfekten ästhetischen Ganzen auflösen.

Der innovative Umgang mit dem Material Holz lässt Willi Siber eine besondere Bedeutung in der Erneuerung der Holzbildhauerei zukommen. Von der Vollholzskulptur wendete er sich schon früh ab, schuf in Folge kissen- oder rohrartige Holzhüllen mit dicht aufgesetzter, noppenartiger Oberflächenstruktur. Mit der Zeit erweiterte der Künstler sein Oeuvre, arbeitete mit unterschiedlichen Farben, Lacken, Emulsionen und gegossenem Epoxidharz. Stahl zählt heute mit zu seinen bevorzugten Werkstoffen.

Farbe erfüllt in Willi Sibers malerischem und plastischem Werk nicht einfach den Zweck, Formen, Flächen, Figuren oder Zeichen zu illustrieren. Sie führt ein Eigenleben. Durch den Einsatz pigmentierter Epoxidharze verleiht der Künstler den Oberflächen vermeintlich feucht glänzende, verführerisch haptische und spiegelnde Texturen, die das Licht absorbieren, reflektieren oder transzendieren.

In der Kunst von Willi Siber sind es nicht nur die glänzenden Harzsiegel, sondern vor allen die chromlackierten Oberflächen der Wandobjekte und eigenwillig beschnittenen Stahlrohrgefüge, in denen das Licht seine dienende Funktion verlässt und eine Autonomie beansprucht, die ihm die Freiheit gibt, Farbnuancen ganz nach seinem Willen aufleuchten oder absterben zu lassen. Das Licht wird von den Farbtexturen reflektiert und beeinflusst ihre Leucht- und Wirkkraft je nach Intensität und Einfallswinkel. Die Farbe lebt vom Licht und das Licht definiert den Raum, der in seinen unterschiedlichsten Ausdehnungen in die Kunst von Willi Siber eingreift. Seine hölzernen Wand- und Bodenarbeiten, deren Außenhaut durch einen All-Over-Besatz aus Zapfen, Splittern oder Noppen reliefiert sind, illustrieren jenes unverzichtbare Zusammenspiel mit dem Raum in vielfältiger und sinnfälliger Weise. Sie lösen sich von statuarischer Strenge und entwickeln ihren Charakter aus befreiten Binnenstrukturen und zerklüfteten Oberflächen, die räumlich agieren und reagieren. In einer osmotischen Wechselwirkung lassen sie sich vom Umgebungsraum durchdringen und umspülen. Und mit ihren pelzigen, aufgebrochenen und skelettierten Körperstrukturen entfalten sie eine eigenwillige atmosphärische Präsenz, die sich auf das Raumklima überträgt.

Charakteristisch für die Bild- und Formensprache Willi Sibers ist die Ambivalenz des optischen Eindrucks, der Verzicht auf räumliche, materielle und formale Eindeutigkeit. Der Betrachter erlebt irritierende Wahrnehmungssituationen. Sie konfrontieren ihn bei jedem Standortwechsel mit unterschiedlichen Form-, Licht- und Raum-Erscheinungen und der Wandlung des Eindrucks von Massivität und Zartheit, Schwere und Leichtigkeit, Dichte und Auflösung, Organik und Konstruktion, Nähe und Distanz, Einfachheit und Komplexität, Statik und Dynamik.

Willi Sibers Formkörper und Bildzyklen irritieren die Gewissheit unserer Seherfahrung. Im architektonischen Kontext entwickeln sie einen raumbezogenen Charakter. Mit sensiblem Gespür für ortsspezifische Situationen gestaltet Willi Siber Rauminstallationen, die im Sinne des Environments das Erscheinungsbild ihrer architektonischen Umgebung beeinflussen und verwandeln.

Willi Siber gehört zu jenen zeitgenössischen Künstlern, die ungeachtet wechselnder Zeitgeistströmungen auf die Unerschöpflichkeit der traditionellen Bildmittel vertrauen, auf den eigenen Ausdrucksformen und Bildideen beharren, sie mit Überzeugung weiterentwickeln und durchsetzen. Willi Sibers Kunst zielt über ein rationales Vermögen, das uns im Alltag gute Dienste leistet, hinaus auf das intuitive Verstehen. Und sie zählt auf die einlassende Betrachtung, in deren Verlauf sich erst die Vielfalt der Ausdrucksebenen eröffnen.

Willi Siber interessiert die Gratwanderung zwischen Antipoden. Seine Material- und Formensprache ist ein Produkt des Aufspürens unvermuteter Erscheinungsformen im vermeintlich Bekannten. Sie enthält stets Momente des Vieldeutigen und Ahnungsvollen, Unnahbaren und Geheimnisvollen. Welches künstlerische Medium er auch wählt, immer inszeniert er Zweifel an der optischen Gewissheit. Der Künstler setzt die formal-ästhetische Ausgewogenheit und das Gleichgewicht zwischen Struktur und Form, Raum und Licht in seinen Bildkompositionen so hoch, dass der Betrachter zwischen formalen, emotionalen, affektiven und metaphorischen Wahrnehmungsebenen wählen kann. Immer wird er dabei auf die Freiheit seiner Sehentscheidung zurückgeworfen, auf sein anschauendes Vermögen und seine Fähigkeit, die Vielgestaltigkeit und Heterogenität von Lage, Anordnung, Farbigkeit und Transparenz der Flächen, Formen, Gesten, Werkstoffe und Oberflächen zu entschlüsseln. Der Betrachter wird zum Teilnehmer. Es wird zu seiner Aufgabe, Antworten zu finden und sich der Gestaltfaszination hinzugeben. Die Zeit, die er benötigt um das einzelne Werk zu erfahren, ist besetzt von der Suche nach der Erscheinung, die sich mit dem Wandel der Licht- und Standortverhältnisse stetig verändert, ohne je einen bleibenden Zustand zu erlangen und somit immer gegenwärtig zu sein. Das macht die Faszination von Willi Sibers künstlerischem Werk aus.

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Eröffnung:

Sa, 15.04.2023, 17 Uhr

Einführung:

Künstler-Gespräch mit Willi Siber

Moderation: Julian Ren

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