Die erschütternde Poesie der Linien des Wang Huangsheng

In seinen Fotografien von engen Hinterhöfen der asiatischen Megastädte entdeckt Wang Huangsheng eine ganz besondere Art von Ästhetik. Sie erzählt vom Gewirr der dort neben und übereinander verlegten Elektro und Kommunikationskabel. Efeu gleich strecken sie sich an den Wänden, vorbei an den vergitterten Fenstern, einem verloren geglaubten Himmel entgegen. Der Ausschnitt des Himmels und sein Licht wirkt als eine Erinnerung, als das letzte Ende einer versperrten oder neu zu entdeckenden Freiheit.

Das hier dokumentierte Gewirr der Kabel überträgt Wang Huangsheng in einer anderen Werkgruppe auf Zeitungspapier. Hier finden sich Artikel die sich intensiv mit der weltpolitischen Lage auseinandersetzen.  In der Tradition der Jahrhunderte alten chinesischen Tuschemalerei verdichtet er seine Linien einem aufsteigenden Vogel- oder einem alles verzehrenden Heuschreckenschwarm gleich, sodass die ursprünglich darunter liegenden kritischen Informationen des Printmediums nahezu verloren gehen.

In seinen großen Rauminstallationen, in denen er Bündel mit glänzenden Metallstreifen durch starke Scheinwerfer durchstrahlen lässt, widmet er sich in deren Schattenwurf auf den Wänden des Raumes allem Anschein nach erneut der Poesie des Auf und Ab der Linienführung und dem Dialog der durch sie gebildeten Flächen untereinander. Doch bei genauer Betrachtung werden die gleißenden Metallstreifen zu Knäulen aus NATO-Draht, einem extrem scharfkantigen Stacheldraht, aus dem er seine Objekte baut. Dieser Draht symbolisiert einen Schutz nach außen und zugleich auch eine Barriere nach Innen. Nur das Licht des Scheinwerfers, als Zeichen der Erkenntnis, flutet hindurch und beginnt sein lebendiges Schattenspiel auf den politisch bedeutungsvollen Schriftzeichen mit denen Wang Huangsheng die Wände des Raumes überzogen hat.

In einer anderen Werkgruppe lässt Huangsheng augenscheinlich Wunschzettel, wie sie zu Neujahr in kleinen Präsenten verpackt in China üblich sind, vom Himmel fallen. Auch hier ein Überraschungsmoment. Bei längerer Betrachtung entpuppen sich die linienförmigen Balken als Reste von blutrot getränkten Mullbinden, die unablässig vom Himmel regnen und sich letztendlich zu einer hohen dunklen Mauer verdichten.

Huangsheng führt uns in seinem gesamten Werk auf poetische aber auch zugleich sehr erschütternde Weise vor Augen, welch hohes Gut der Kulturaustausch und die Freiheit ist und welche Gefahren in der Ab- und Ausgrenzung liegen. Das ist zweifellos ein historisches Thema welches uns die Tragödien der jüngsten Vergangenheit vermitteln. Aber auch im Jetzt, in der tagespolitischen Aktualität, finden sie, weltweit ihre Bestätigung, berühren sie uns unmittelbar.

Wenzel Jacob, 2018

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Eröffnung:

Sa, 19.01.2019, 17 Uhr

Einführung:

Wenzel Jakob

Direktor, Bundeskunsthalle, a.D.

Prof. Dr. Dieter Ronte

Kurator

Die Eröffnung fand in Anwesenheit des Künstlers statt.

Die Ausstellung wurde an das Osthaus Museum Hagen weitervermittelt.

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